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Eine nette Geschichte:
EINE NETTE GESCHICHTE den Häusern davor freimacht. Es
gehalten: Du brauchst dich nicht zu schämen
DIE AMPEL
Die Bank
sind immer Menschen unterwegs
auf diesem Weg, und so wird sie
permanent – natürlich nur tags-
über – bedient, gedrückt, in Be-
dafür, dass der Verkehrslärm incl.
Geruch für Augenblicke dem Ge-
Diese Bank hat es in sich. Ich
liebe es, auf ihr zu sitzen. Es kreu- trieb genommen, und sorgt auch
trampel von Fußgängern weicht
zen sich Jahrhunderte, Horizon- und das Rauschen des Flusses zu
te, und es gibt immer genug zu hören ist, wenn auch nur leise, un-
sehen. Im Rücken, der Berg mit bestimmt im Hintergrund.
der Burg, vor mir, die alte Brücke Auf dieser Bank sitze ich oft, auf
über den Fluss, quer davor, quasi diesem belebten Schnittpunkt der
vor mir, die Straße, immer befah- Zeiten.
ren, mit Lücken dazwischen. Ich Die beiden, ein Mann und eine
vergaß zu erwähnen, dass die alte Frau, die der eigentliche Anlass für
Brücke Fußgängerzone ist, weil diese Geschichte sind, fielen mir
sie in die Altstadt führt mit ih- sofort auf, denn sie hielten sich an
ren Straßencafes und zahlreichen den Händen. Das war verwunder-
Kirchtürmen. lich, denn sie waren beide schon so
Was ich besonders liebe, ist die um die Siebzig und schienen der
Mischung aus Geschichte und einfacheren Schicht anzugehören,
Gegenwart, die sich hier kreuzend für die, so scheint es mir, so ein
ständig entwickelt, im Symbol der Verhalten – das Händchenhalten
alten Brücke mit ihren steinernen – ungewöhnlich ist, zumindest ich
Figuren, dem gelegentlichen Rau- hatte bisher so ein Paar noch nicht
schen des Flusses, dem Fußtempo wahrgenommen.
der Passanten, auch der Fahrrad- Sie kamen von der Altstadt auf
fahrer, gemischt mit dem Lärm mich zu, schienen aber nicht über
der Autos, dem Geruch der Abga- die Straße zu wollen, sondern
se, die gerade auf dieser Bank für „drüben“ bleibend nach rechts ab-
mich einen Wohlgeruch verbrei- zubiegen, um weiter flussabwärts
ten, eine starke Erinnerung wach- zu gehen.
rufen an Jugendtage, in denen ich Und dann passierte es. Der Mann
als Autostopper an den italieni- riss sich los, gut, vielleicht ließ er
schen Autostraßen stand, und ge- auch nur die Hand der Frau los
nau dieser Geruch mir Weite und – ich kann jetzt nicht mehr sagen,
Abenteuer versprach. wer wen an der Hand gehalten hat
Aber all das ist nicht der Anlass für – und eilte zur Ampel, um diese
diese Aufzeichnungen. Im gewis- zu drücken, obwohl schon eine
Foto © fottoo - Fotolia.com pel, die von der alten Brücke den Frau. Genauso schnell eilte er wie-
Person dort wartete, eine junge
sen Sinne ist es die Fußgängeram-
der zur Frau zurück, händchen-
Weg über die Straße zur Burg und
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