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halten: Das Agape - Projekt











        Die Liebe gibt – und verzichtet



        ///////////////////////////////////////////////////Markus Müller






        Ist es nicht faszinierend, das mit der   würde sagen: Hier haben wir Liebe   hafte in meinen Beziehungsnet-
        Liebe? Liebe steht unglaublich quer   pur, hier haben wir Himmel auf Er-  zen, alles eitle Glauben verdunstet.
        in der Landschaft. Für mich ist die   den, Zukunft in der Gegenwart.     Versöhnung mit mir selbst, mit
        Liebe so etwas wie ein Lebensthe-   Und ich? Heute? Dazu da, mir im-     andern, mit Gott ist das Selbst-
        ma und immer wieder stolpere ich    mer wieder etwas Liebe abzuringen    verständlichste dieser Welt. Besitz,
        über sie. Wieso? Ganz einfach: Weil   und abzurackern: Für mich, für den   Geld, Zeit, Geduld, Engagement,
        Liebe so ganz anders ist als mir lieb   andern, für Gott? Um ehrlich zu   Hingabe  sind  Geschenk,  und  als
        ist. Vermutlich ist sie gerade deshalb   sein: Darauf habe ich keine Lust.   Geschenk darf ich es weitergeben.
        auch so faszinierend.               Liebe muss etwas anderes sein, weit   Können, Leistung, Anerkennung
        Karfreitag und Ostern liegen noch   weg von ethischen  Vorgaben, ja,     ist nicht mehr Mittel zur Iden-
        nicht in unendlicher Ferne. Ich     vielleicht das Gegenteil von Moral.   titätsfindung, sondern Ausfluss
        wunderte  mich  wieder  neu:  Der   In guten Momenten geht  es mir       gesunder Identität. Standpunkte,
        Mann, der Krankheiten heilte, der   so, dass ich Liebe – vor allem Lie-  Wissen und Meinungen sind mir
        Seestürme stillte, der Dämonen aus-  be zu schenken - reizvoll finde, das   anvertraut, und deshalb muss ich
        trieb, der Wasser in Wein verwan-   Schönste im Leben, das Attraktivste   sie nicht in Form von Besserwisserei
        delte, der so lehrte dass Menschen   schlechthin. In solchen Momenten    und Rechthaberei durchsetzen. Ich
        wissbegierig und leidenschaftlich   ahne ich: Es könnte meine Beru-      darf sie verfügbar machen. Gibt es
        zuhörten – dieser Mann erträgt die   fung sein zu lieben, mehr noch:     etwas Schöneres? Liebe ist der Kern
        größte vorstellbare Schmach, die    Liebe könnte wahre Selbstverwirk-    solchen Denkens und Tuns. Ich lie-
        größte denkbare Erniedrigung, die   lichung sein. In der Liebe komme     be die Liebe.
        größtmögliche Demütigung. Wenn      und finde ich zu mir, Liebe ent-
        es einen gibt, der Liebe kannte und   spricht mir im Tiefsten, ist meine   Dr. Markus Müller, Heilpädagogik,
        lebte, dann dieser Jesus. Er gab nicht   DNA, nichts ist so typisch Ich wie   Erziehungswissenschaft und Anth-
        etwas, sondern sein Leben. Er ver-  die Liebe. Alle Lieblosigkeit zerstört,   ropologie. Seit April 2012 arbeitet
        zichtete nicht auf etwas, sondern auf   verdreht und verbiegt mich bloß.  er als Heimpfarrer der Heimstätte
        sein Daseinsrecht (und heilte dabei   Irgendwie  würde  ich  gerne  nicht   Rämismühle bei Winterthur/CH.
        seinem Angreifer das Ohr). So an-   nur in guten Momenten an diesem
        ders, so fremd, so eigenartig. „Siehe,   Selbstbild festhalten. Nach Ostern
        das Lamm“, hat Johannes der Täu-    möchte ich mich noch viel mehr
        fer gesagt. „Präg tief in mich diese   in diese Dimension hineinnehmen
        Lammesart“, dichtet Helga Winkel    lassen, in die Dimension der wah-
        in einem Lied. Und 29 Mal kommt     ren Erfüllung meines Lebens durch
        das Lamm in der Offenbarung, die    Lieben hineinfinden.
        uns so schön die Zukunft erhellt,   Was ich weiß: Ein Großteil meiner
        vor. Bei ihm, diesem Lamm, haben    Probleme löst sich dann auf. Alles
        wir das Ur-Muster sich verschen-    Ungereimte  im  Umgang mit  mir
        kender, faszinierender Liebe. Ich   selber, alles Schnöde und Schad-








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